Wann liegt überhaupt eine zusätzliche Leistung nach § 2 Abs. 6 VOB/B vor?

Juristen erklären das Vorliegen einer zusätzlichen Leistung häufig mit dem Hinweis auf eine Abweichung des „Bauist“ vom „Bausoll“. Viel gewonnen ist im Streitfall mit dieser Definition kaum, da die Parteien des Bauvertrags ja gerade darüber streiten, was das Bausoll ist.

Zentral für die Beantwortung der Frage, wann eine zusätzliche Leistung vorliegt, ist in jedem Fall die Definition des nach Vertrag geschuldeten Leistungssolls. In dem Vertrag und seinen Anlagen, wie insbesondere dem Leistungsverzeichnis, ist beschrieben, welche Leistungen der Auftragnehmer zu erbringen hat und welche Vergütung er hierfür erwarten kann. Jegliche Leistung, die dort nicht beschrieben ist, aber vom Auftraggeber ausdrücklich gefordert oder auch nur notwendig ist, um ein mangelfreies und abnahmefähiges Werk zu erstellen, führt zu einem zusätzlichen Vergütungsanspruch.

Dabei unterliegen Auftraggeber zuweilen dem Irrglauben, dass alleine die Erfolgsbezogenheit des Werkvertragsrechts dazu führt, dass Leistungen, die in einem konkreten Leistungsverzeichnis zwar nicht beschrieben aber zur mangelfreien Erstellung des Werkes zwingend notwendig sind, vom Auftragnehmer in jedem Fall und auch noch kostenlos geschuldet sind.

Man muss hier jedoch streng unterscheiden zwischen dem vom Auftragnehmer geschuldeten

Leistungssoll

einerseits, und dem

Vergütungssoll

andererseits.

Leistungssoll meint dabei die vom Auftragnehmer durch Unterzeichnung des Bauvertrages übernommene Verpflichtung, ein mangelfreies und abnahmefähiges Werk nach Maßgabe des Vertrages herzustellen.

Vergütungssoll beschreibt dahingegen Art und Umfang der Leistungen, die der Auftragnehmer zu der im Vertrag festgelegten Vergütung schuldet.

Leistungssoll und Vergütungssoll sind nur im Idealfall deckungsgleich und fallen bei komplexeren Baumaßnahmen oft auseinander.

Bei öffentlichen oder Sektorenauftraggebern ist in Zusammenhang mit der Auslegung einzelner Positionen des Leistungsverzeichnisses immer zu berücksichtigen, dass diese speziellen Auftraggeber dem Regime der VOB/A bzw. der SektVO unterworfen sind. Diese Normen geben dem für die Ausschreibung verantwortlichen Auftraggeber allerdings vor, dass er die gewünschte Leistung „so eindeutig und erschöpfend zu beschreiben hat, dass alle Bieter die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können“.

Verstößt ein Auftraggeber gegen diese aus der VOB/A bzw. SektVO resultierende Verpflichtung (was in der Praxis eher die Regel als die Ausnahme ist), sollten sich Auftragnehmer zwingend bereits im Angebotsstadium beim Auftraggeber melden und um Aufklärung bitten.

Jedenfalls muss aber die Verpflichtung des Auftraggebers zur sorgfältigen und vollständigen Ausschreibung nach VOB/A bzw. SektVO im Rahmen der Auslegung des Vertrages bei Nachtragsdiskussionen zugunsten des Auftragnehmers berücksichtigt werden.

Natürlich hatten sich auch die Gerichte schon oftmals mit der Frage zu beschäftigen, wann bei vom Auftraggeber in einem Leistungsverzeichnis konkret beschriebenen Leistungen ein zusätzlicher Vergütungsanspruch für den Auftragnehmer bei zusätzlichen Leistungen entsteht. Viele Entscheidungen sind jedoch nur im Hinblick auf die konkreten Umstände des jeweils zu entscheidenden Einzelfalls und nach jeweiliger „Auslegung des Vertrages“ durch die Gerichte entstanden. Eine generelle und allgemein verbindliche Klärung der Frage, wann zusätzliche vergütungspflichtige Leistungen vorliegen, überfordert die Gerichte jedoch in Anbetracht der Vielschichtigkeit der zugrunde liegenden Sachverhalte deutlich.

Nachfolgend soll vor diesem Hintergrund anhand der Leitsätze einiger Urteile dargestellt werden, auf Grundlage welcher Parameter sich die Gerichte der alles entscheidenden Frage nach dem geschuldeten Soll nähern:

OLG Zweibrücken – Urteil vom 15.02.2002

Schuldet der Auftragnehmer gemäß Leistungsverzeichnis für die Sicherung des Baustellenbereiches eine Lichtsignalanlage, kann er für zusätzliche - von der Straßenverkehrsbehörde geforderte - Handwinker eine Extravergütung beanspruchen.

BGH – Urteil vom 28.02.2002

Für die Bestimmung einer nach VOB/A ausgeschriebenen Leistung sind neben dem Wortlaut der Leistungsbeschreibung die Umstände des Einzelfalles, unter anderem die Besonderheiten des Bauwerkes, maßgeblich.

Für die Abgrenzung zwischen unmittelbar vertraglich geschuldeten und zusätzlichen Leistungen kommt es auf den Inhalt der Leistungsbeschreibung an und nicht auf die Unterscheidung in den DIN-Vorschriften zwischen Nebenleistungen und besonderen Leistungen.

Zur Klärung der Frage, welche Leistung durch die Leistungsbeschreibung erfasst ist, ist die Vereinbarung der Parteien nach den §§ 133, 157 BGB auszulegen.

OLG München – Urteil vom 10.09.2003

Sieht die Leistungsbeschreibung für ein Trapezblechdach vor, dass die Verbindungsmittel aus nicht rostendem Material sein müssen, so beinhaltet dies keine Korrosionsschutzleistung, die erforderlich wird, wenn die vertraglich vorgesehene Befestigung des Trapezblechdaches den Korrosionsschutz der bauseitig gestellten Stahlträger an den Durchbruchstellen zerstört.

Ein Trapezblechdach ist auch dann mangelfrei hergestellt, wenn aufgrund seiner Befestigung auf einer bauseitigen Stahlkonstruktion notwendigerweise Durchbruchstellen entstehen, die mit einem Korrosionsschutz noch versehen werden müssen und der Korrosionsschutz dem Trapezdachhersteller nicht übertragen war.

Eine Beschreibung, dass Verbindungsmittel aus nichtrostendem Material sein müssen, beinhaltet keine Korrosionsschutzleistung, die erforderlich wird, wenn der materialmäßig vorhandene Korrosionsschutz durch die Bearbeitung nachteilig beeinflusst wird.

BGH – Urteil vom 27.07.2006

Für die Abgrenzung, welche Leistungen von der vertraglich vereinbarten Vergütung erfasst sind und welche Leistungen zusätzlich zu vergüten sind, kommt es auf den Inhalt der Leistungsbeschreibung an. Diese ist im Zusammenhang des gesamten Vertragswerks auszulegen. Haben die Parteien die Geltung der VOB/B vereinbart, gehören hierzu auch die Allgemeinen Technischen Bestimmungen für Bauleistungen, VOB/C.

Der Unternehmer trägt nicht nach allgemeinen werkvertraglichen Grundsätzen das Risiko für die Kosten eines von der Baugenehmigungsbehörde angeforderten Baugrundgutachtens.

OLG Koblenz – Urteil vom 29.05.2006

Ein Bieter darf die Leistungsbeschreibung einer öffentlichen Ausschreibung im Zweifelsfalle so verstehen, dass sie den Anforderungen der VOB/A entspricht.

Bei der Auslegung der Leistungsbeschreibung ist zunächst von der auf die konkrete Leistung bezogenen Positionen auszugehen. Die dort enthaltenen Angaben sind jedoch in Verbindung mit den sonstigen Angaben des Leistungsverzeichnisses und anderen vertraglichen Unterlagen als sinnvolles Ganzes auszulegen.