Das Gericht im Bauprozess

Dieses Kapitel wurde von Herrn Werner Kling, Vorsitzender Richter am Landgericht München a.D., verfasst. Herr Kling war lange Jahre als Vorsitzender Richter einer Baukammer am Landgericht München tätig. Gleichzeitig ist Herr Kling Autor des Buches "Rationelle Mandatsbearbeitung im privaten Baurecht".

Dieses Buch enthält umfangreiche Informationen und Tipps für den Praktiker zu Fragen des materiellen Baurechts wie auch des Verfahrensrechts.

Fallstricke eines baurechtlichen Verfahrens

Die Bereitschaft, Meinungsverschiedenheiten - nicht nur - in Bauangelegenheiten vor Gericht zu tragen und dort auszustreiten, ist in Deutschland hoch entwickelt. Ein beredtes Zeugnis dafür legt der Umstand ab, dass etwa bei dem Landgericht München I sechs spezielle "Baukammern" und bei dem Oberlandesgericht München entsprechend drei "Bausenate" eingerichtet sind.

Die positive Erwartungshaltung, mit der Parteien derartige Prozesse in Gang setzen und betreiben, wird leider sehr häufig durch den tatsächlichen Ablauf der Verfahren, deren Dauer und ihr endlich erzieltes Ergebnis stark konterkariert. Als allgemeinen Erfahrungswert kann man festhalten, dass in kaum einem Rechtsstreit über Baurechtsfragen eine Partei voll obsiegt bzw. unterliegt; d.h. keine der Parteien kann im Regelfall ihre anfängliche Rechtsposition, ihre Auffassung von "Gerechtigkeit" voll durchsetzen.

Die Gründe dafür sind erfahrenen Rechtsanwälten und Richtern längst bekannt. Sie lassen sich aber nur schwer, in vielen Fällen gar nicht von außen entscheidend beeinflussen. So zeigt sich in der Beratungs- und Spruchpraxis in einem manchmal unfassbaren Ausmaß, mit welcher geradezu unbeugsamen Unwilligkeit sich viele Beteiligte am Baugeschehen der Notwendigkeit einer schriftlichen Fixierung von Absprachen insbesondere über den Vertragsinhalt verschließen. Diese ablehnende Haltung wird ohne Rücksicht auf die damit verbundenen nachteiligen Folgen im Rechtsstreit immer wieder mit der angeblich besonderen Situation am Bau begründet, die eine solch "umständliche" Handhabung nicht zulasse.

Um das damit aufgeworfene Problem auch als juristischer Laie einigermaßen in den Griff zu bekommen, muss man sich darüber klar werden, wie Rechtsprechung überhaupt funktioniert, was sie leisten kann und was zu bieten sie nicht in der Lage ist. "Recht haben und Recht bekommen" sind bekanntlich "zwei Paar Stiefel". Die Ursachen hierfür lassen sich in zwei Hauptgruppen einteilen.

(1)
Zum einen sind an der Suche nach Recht auch auf der Richterbank immer nur Menschen beteiligt, die unvermeidlich eine durch ihre jeweilige Herkunft geprägte gewisse Grundeinstellung mitbringen *sog. "richterliches Vorverständnis"). Deshalb ist "hellseherische" absolute Gerechtigkeit kaum zu erreichen. Das Rechtsergebnis orientiert sich vielmehr an formalen Voraussetzungen, die in Deutschland - vom römischen Recht herstammend - in einer ausgefeilten und immer wieder weitgehend den sich erneuernden wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnissen angepassten Fülle von Gesetzen, sonstigen Vorschriften und Regelungen festgehalten sind. In diesen Bestimmungen - "Paragraphen" - ist mit sogenannten Tatbestandsmerkmalen beschrieben, welche nachgewiesenen Vorkommnisse im Leben zu welchen rechtlichen Folgen führen. Dazu bestimmt die Rechtsordnung auch, wer das Vorliegen behaupteter Tatsachen beweisen muss, wie dieser Beweis geführt werden kann und welche Folgen eintreten, wenn der Nachweis nicht gelingt (sog. "Beweislast"). Grundsätzlich muss jede Partei für diejenigen ihrer Tatsachenbehauptungen den Nachweis führen, die für ihre Rechtsposition günstig sind (hierzu gibt es allerdings eine Vielzahl von Ausnahmen im Einzelfall). Dafür stehen ihr im wesentlichen als Möglichkeiten zur Verfügung (sog. "Beweismittel")

  • Augenschein (Besichtigung) durch das Gericht für vorhandene Zustände
  • Zeugen für Vorgänge in der Vergangenheit bis zur Beweisaufnahme
  • Sachverständige für vorhandene Zustände und technische Folgerungen
  • Urkunden für Vorgänge in der Vergangenheit bis zur Beweisaufnahme
  • Parteivernehmung insbesondere bei sogenannten "4-Augen-Gesprächen"
  • amtliche Auskunft für Vorgänge bei Behörden.

Der Inhalt vertraglicher Absprachen lässt sich in der Regel nur durch Zeugen oder schriftliche Unterlagen nachweisen. Da das Erinnerungsvermögen von Zeugen erfahrungsgemäß unzuverlässig ist, für Gespräche oft auch keine Zeugen zur Verfügung stehen, ist dringend anzuraten, alle wesentlichen - auch nachträglichen - Vertragsabsprachen schriftlich mit Datum und Unterschrift beider Parteien niederzulegen, um spätere Rechtsnachteile zu vermeiden.

Derartige Nachteile bestehen nicht nur darin, dass der Prozess als solcher ganz oder teilweise verloren werden kann, sondern auch in der Kostenfolge. Die Kostenbelastung aus einem Rechtsstreit - bei Abweisung des Begehrens sind auch die Kosten des Gegners zu tragen! - ist umso höher, je werthaltiger der Gegenstand ist, um den gestritten wird (sogenannter "Streitwert").

(2)
Zum anderen spielen aber bei dem Bestreben, Recht zu bekommen, auch erhebliche Fehler der Parteien bei der Grundlegung, Vorbereitung und Durchführung des Rechtsstreits eine entscheidende Rolle.

Bereits aus dem bisher Gesagten ist unschwer zu erkennen, dass es für das Ergebnis eines Rechtsstreits in hohem Maße auf das ankommt, was die beteiligten Parteien dem Gericht vortragen und wie sie das tun. Was nicht in Schriftsätzen oder in mündlicher Verhandlung vorgetragen wird, kann und darf das Gericht bei seiner Urteilsfindung nicht berücksichtigen; andererseits muss das Gericht grundsätzlich alles als wahr unterstellen, was nicht ausdrücklich bestritten wurde.

Um entscheiden zu können, wie der Vortrag einer Partei insbesondere inhaltlich zu gestalten ist, muss sich der juristische Laie im immer umfangreicher und komplexer werdenden Baurecht sinnvoller weise eines auf diesem Gebiet regelmäßig tätigen und damit versierten Rechtsanwaltes (es gibt "Spezialanwälte für Baurecht") bedienen. Er kann das richtige taktische Verhalten einer Partei bestimmen. Ziel dieses Vorgehens muss es sein, den Gegner und vor allem das Gericht von der Richtigkeit der eigenen Tatsachenschilderungen und rechtlichen Schlussfolgerungen zu überzeugen und bei deren Vortrag nicht selbst Fehler zu begehen. Fehler im Tatsachenvortrag können nicht nur zu einer überlangen Dauer des Rechtsstreits, sondern auch zum Verlust einer an sich einer Partei zustehenden Rechtsposition führen.

In der Mehrzahl der Fälle wird ein Rechtsstreit mit einem Urteil abgeschlossen, das auf dem bisher skizzierten Weg gefunden wird. Häufig ist es aber sinnvoll und vorteilhaft, rechtzeitig einen Vergleich abzuschließen. Zu Unrecht wird die vergleichsweise Beendigung einer vertraglichen Auseinandersetzung von Laien oft als mindere Lösung gegenüber einer gerichtlichen Entscheidung angesehen. Während das Gericht - gebunden an Beweislastregeln, fragwürdiges Erinnerungsvermögen von Zeugen, mehrdeutige Unterlagen etc. - mit einem Urteil nur ein formal zutreffendes Ergebnis erzielen kann, haben es die Parteien sehr viel besser in der Hand, sich mit ihrem Wissen vom tatsächlichen Ablauf weitgehend dem materiell richtigen und wirtschaftlich tragbaren Ergebnis anzunähern. Eine eskalierende Auseinandersetzung durch einen Vergleich zu vermeiden, ist besonders im Bereich des Baurechts wichtig, weil hier häufig außergewöhnliche Gefahren drohen im Hinblick auf

  • Umfang, Unübersichtlichkeit des Streitstoffes
  • Dauer des Verfahrens (lnsolvenzrisiko!)
  • Menge und Güte der Beweismittel (ungewisser Prozessausgang)
  • Kosten (Sachverständige; Streitwert).

Für einen Vergleich spricht deshalb alles, wenn

  • die Vertragslage unklar ist infolge ungenauer oder nur mündlicher Absprachen
  • hohe Durchsetzungsrisiken und -kosten drohen wegen fehlender oder schlechter Nachweismöglichkeiten bzw. bei technischen Problemen
  • der Schuldner erkennbar nicht - voll - zahlungsfähig ist
  • (betriebs)wirtschaftlich ein sofort verfügbarer Teilbetrag günstiger als langes Warten auf eine ungewisse Zahlung ist (ein Urteil allein bringt noch kein Geld; es muss unter Umständen erst vollstreckt werden!)
  • das Streitpotential so hoch ist, dass ein jahrelanger Rechtsstreit droht.

Hierzu müssen alle rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte eines konkreten Rechtsstreits sorgfältig abgewogen werden. Gerade in Bausachen stehen oft die Kosten einer Beweisaufnahme in keinem sinnvollen wirtschaftlichen Verhältnis zu dem damit erreichbaren Ergebnis.