Die Nachtragsproblematik am Bau - Zusätzliche Vergütung für den Auftragnehmer

Von der so genannten Nachtragsproblematik lebt in Deutschland eine ganze Industrie. Damit sind allerdings weniger die ausführenden Firmen gemeint, die froh wären, wenn sie sich auf ihre eigentliche Aufgabe, nämlich das Bauen, konzentrieren könnten und nicht personalintensive und nervenaufreibende Schlachten um jeden Euro führen müssten, der am Ende vom Auftraggeber aus der Schlussrechnung akzeptiert wird.

Und auch die Auftraggeber hätten im Grunde nichts dagegen, wenn sie am Tag der Abnahme für ein Stück Bauobjekt die im Vertrag vereinbarte Vergütung beim Auftragnehmer abliefern und sie sich wieder dem Tagesgeschäft widmen könnten.

Von diesem Idealzustand hat man sich in der Bauwirklichkeit in Deutschland allerdings schon seit Jahren verabschiedet. In der Praxis tummeln sich nämlich bei größeren Bauprojekten ganze Heerscharen von Projektsteuerern, Sachverständigen, Baubetrieblern, Bauüberwachern, Controllern und last but not least Baujuristen, nur um, je nach Provinienz, dem Auftraggeber beizubringen, dass er dem ausführenden Unternehmen noch mindestens einen siebenstelligen Betrag schulde, oder dem Auftragnehmer zu erklären, dass er mindestens in dieser Höhe bereits überzahlt ist. Wohlgemerkt beziehen sich beide Aussagen auf das gleiche Bauvorhaben.

Die Auseinandersetzungen, die um zusätzliche Vergütungsansprüche am Bau geführt werden, nehmen dabei immer verbissenere Züge an. Wenn man sich über die Problematik mit älteren Bauingenieuren unterhält, dann sind diese in Anbetracht der Entwicklung, die Vergütungsverhandlungen am Bau in den letzten Jahren genommen haben, fassungslos. Es wird berichtet, dass es durchaus Zeiten gegeben habe, wo sich der Niederlassungsleiter eines Unternehmens der Bauindustrie nach Fertigstellung eines auch größeren Bauvorhabens mit dem Geschäftsführer des auftraggebenden Unternehmens getroffen und man sich im Rahmen eines offenen aber auch fairen Gesprächs sehr zügig auf eine Vergütungshöhe geeinigt hat, mit der beide Seiten leben konnten.

Diese Zeiten sind nachhaltig vorbei. Dabei ist es ein ganz normaler Vorgang, wenn es am Bau zu einer Änderung der ursprünglich ins Auge gefassten Vergütungshöhe kommt. Es gibt am Bau nun einmal klassischerweise Inponderabilien, mit denen bei Auftragserteilung keiner rechnen und die dementsprechend auch keiner in den Preisen berücksichtigen kann.

Es mag das Wetter verrückt spielen und das Betonieren durch unerwarteten Frost und Minusgerade vereiteln. Oder die Tunnelbohrer für Stuttgart 21 stellen nach Auftragserteilung fest, dass die im Untergrund vorhandenen Schichten von quellfähigem Keuperton doch mächtiger sind, als in den zahlreichen Baugrundgutachten ausgewiesen. Aber auch hausgemachte Probleme, wie eine mangelhafte und unfertige Planung, Änderungs- oder zusätzliche Wünsche des Bauherrn, Finanzierungsprobleme oder nachträgliche Auflagen durch die Genehmigungsbehörden sorgen dafür, dass sich das vom Bauunternehmen dereinst kalkulierte Bausoll in der Ausführungsphase kräftig verschiebt.

Man sollte meinen, dass all diese Umstände, die zu einer Änderung des Bausolls führen, die Bauvertragsparteien nicht davon abhalten sollten, sich trotzdem, wie von den Gerichten gebetsmühlenhaft gefordert, kooperativ zu verhalten und berechtigte Vergütungsansprüche in einem fairen Miteinander verhandelt und nachfolgend auch ausgeglichen werden.

Dass das in der Praxis nicht geschieht, kann man im Tagesgeschäft lebhaft verfolgen.

Bei privaten gewerblichen Bauherrn kann man deren Meinung zu zusätzlichen Vergütungsansprüchen meist schon aus dem Vertrag herauslesen, mit dem er zu Beginn der Liaison den Auftragnehmer beglückt. Zusätzliche Vergütungsansprüche sollen nämlich nach dem Wortlaut des Vertrages mehr oder weniger ausgeschlossen sein. Dies kann man natürlich nicht wortwörtlich in den Vertrag hinein schreiben, aber man versucht, mit Hilfe durchaus gewitzter Baujuristen, dem Auftragnehmer das Nachtragsleben so schwer wie nur irgend möglich zu machen.

Und auch der öffentliche oder Sektorenauftraggeber geht alles andere als unbefangen mit Nachtragsansprüchen der ausführenden Firmen um. Zwar haben öffentliche Auftraggeber hinsichtlich der Vertragsgestaltung gewisse Zwänge zu beachten, aber natürlich versuchen auch die öffentlichen Auftraggeber aus dem als zu eng empfundenen Korsett der VOB auszubüchsen. Auch der öffentliche Auftraggeber hätte natürlich nichts dagegen, ergebnisrelevante Risiken bereits durch Vertrag auf die Auftragnehmerseite verlagern und dadurch das Nachtragspotential zu verringern.

Aber auch die Auftragnehmerseite ist nicht schuldlos an der Entwicklung der letzten Jahre. Was hier falsch gemacht wird kann in diesem Kapitel nachgelesen werden.